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ARTi.G. - Kunst im Gefängnis - Informationen zur 125. Ausstellung

125. Ausstellung - „Neue Eindrücke“ - Letzte ARTi.G.-Ausstellung eröffnet


  Bildrechte: JVAfF
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Im Rahmen der Initiative ARTi.G. – Kunst im Gefängnis – wurde Anfang Oktober unter Corona-Einschränkungen die 125. Ausstellung in mehreren Abschnitten eröffnet.

Die Ausstellung „Neue Eindrücke“ zeigt Arbeiten, die 2020 und 2021 innerhalb der Justizvollzugsanstalt für Frauen (JVA) im Atelier für künstlerische und kunsttherapeutische Intervention – AKKTIV - und in Workshops entstanden sind. Bei etlichen der rund 50 Arbeiten handelt es sich um die „Übermalung“ bzw. „Überschreibung“ des oftmals voyeuristischen Männerblicks auf die Rolle der Frau in der Malerei. Mit sehr persönlichen Neufassungen bekannter Bilder wie z.B. „Susanna im Bade“ von Corinth, „Les Demoiselles d’Avignon“ von Picasso, „Frühstück im Grünen“ von Manet oder dem „Ursprung der Welt“ von Courbet sind neue Interpretationen der Kunstgeschichte aus der Frauenperspektive entstanden.

Die Ausstellung kann bis zum 23.12.2021 immer donnerstags in der Zeit von 18 bis 19 Uhr besucht werden. Wegen der begrenzten Personenzahl ist eine vorherige, verbindliche Anmeldung unter 04441 91600 erforderlich. Für den Einlass sind ein gültiger Personalausweis und ein Nachweis über den vollständigen Impfschutz vorzulegen. Es gelten Abstandsgebote und Maskenpflicht (medizinische oder FFP2).

Zur Ausstellung ist ein Katalog entstanden, der die Geschichte von ARTi.G. – Kunst im Gefängnis – mit den 124 Ausstellungen beleuchtet und einen besonderen Blick auf die 125. Ausstellung richtet. Viele Abbildungen bilden den Rahmen zu Äußerungen von Expertinnen zur Implementierung von künstlerischen und kunsttherapeutischen Interventionen im Frauenvollzug.

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Auszüge aus der Einführungsrede zu NEUE EinDRÜCKe von Teréz Fóthy

Zuerst möchte ich mich bei allen Menschen bedanken, die diese Ausstellung und die dazu vorgelegte Publikation „Aufbruch-Übergänge-Wendepunkt“ ermöglicht haben. Anstaltsleitung, verschiedene Fachbereichsleiter und etliche Bedienstete haben mir mit ihrer Unterstützung und dem entgegen gebrachten Vertrauen in meine künstlerische und kunsttherapeutische Arbeit den Raum gegeben, nicht nur das lösungsorientierte Malen LOM® in die Vollzugsplanung zu implementieren, sondern die Etablierung der allgemeinen künstlerisch-kunsttherapeutischen Arbeiten bzw. Interventionen im Frauenvollzug in Vechta zu realisieren. Darüber hinaus möchte ich Prof’in Dr. Constanza Schulze-Stampa und Prof. Michael Dörner von der Freien Kunststudienstätte Ottersberg danken, die indirekt den ersten Impuls gegeben haben, den Schritt zu wagen, überhaupt im Strafvollzug künstlerisch und therapeutisch zu arbeiten. Ein besonderer Dank gilt meinem Freundeskreis für die inspirierenden Gespräche, das Zuhören, die kritischen Betrachtungen sowie für die liebevolle und bedingungslose Unterstützung.

Meine Motivation, im Strafvollzug zu arbeiten, ist meiner Biografie geschuldet. Ich wuchs als dritte von sechs Geschwistern in einer aus Ungarn geflüchteten Familie in Buenos Aires auf, erlebte bis zum 18. Lebensjahr die Junta Militar und musste eigene Erfahrungen mit moralischer, psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt machen.

Im Strafvollzug begann ich 2013 zunächst mit Kunst-Workshops, dann Workshops mit kunsttherapeutischen Hintergrund, ab 2017 mit lösungsorientiertem Malen LOM® und seit 2020 zusätzlich mit personenorientierter Maltherapie POM nach Bettina Egger zu arbeiten.

Ich höre hier viele Geschichten, die mir eher fremd sind; viele davon haben aber einen Hintergrund mit einer Form von Gewalt, die ich aus eigener Erfahrung kenne. Ich kenne die Emotionen, die damit einhergehen, ich erkenne Zusammenhänge und Folgen und kann das in der Maltherapie nutzbar machen.

Im Vollzug begegne ich Menschen in desolaten Situationen, Frauen, die alles zurücklassen mussten oder mit allen möglichen Ängste kämpfen. Menschen, die in eigenen Ausnahmezuständen oder in Überlebensnot gewalttätig geworden sind. Frauen, die die Grenzen und die Freiheit der Anderen überschritten oder schwer verletzt haben, dies aber auch tief bereuen. Frauen, die nicht mehr in der Lage sind, sich selbst wahrzunehmen, das eigene Leben zu managen oder überhaupt noch Selbstverantwortung zu übernehmen. Menschen, die mit Lebensgeschichten kommen, die uns unvorstellbar erscheinen. Die meisten der Frauen waren zuerst Opfer, überwiegend von sexualisierte Gewalt, bevor sie selber Täterinnen wurden.

Ein wichtiges Anliegen meiner Arbeit als Künstlerin und als Kunsttherapeutin im Vollzug ist es, die Schwierigkeiten der Frauen zu erkennen, sie anzuerkennen und ihnen durch das Malen einen Wandlungsprozess nachhaltig sichtbar, klärend und erfahrbar zu machen, Gefühle und Handlungen werden wahrgenommen und dann um ein NEUES Verhalten und Erleben erweitert.

Aber Sie als Gäste fragen sich bestimmt: Was ist denn nun Inhalt dieser künstlerischen - kunsttherapeutischen Arbeit hier in der JVA für Frauen in Vechta?

Ist das Kunst? Oder kann das weg…

In den hier zu sehenden Arbeiten, steht die Kunst als Mittel der therapeutischen Erfahrung im Vordergrund und nicht die Kunst als Ausdrucksform an sich.

Als Mensch sind wir ergebnisorientiert, was uns (Kunsttherapeuten) aber wirklich interessiert, liegt im Prozess. Diese Prozesse sind bei LOM® schrittweise dokumentiert und werden nach Workshops/Projekten in unterschiedlichen Formen präsentiert.

Dabei arbeiten wir prozessorientiert und nicht ergebnisorientiert.
Am Ende schauen die Teilnehmerinnen immer stolz auf ihre entwickelten Bildnisse und darauf, dass sie auf dem Weg zum Ziel über sich hinausgewachsen sind. Die Frauen erleben sich selbst in einer ganz neuen Perspektive mit einem erlebnisorientierten Zugang.

Die hier zu sehenden Arbeiten sollen die schöpferischen Kräfte der Inhaftierten bündeln, damit diese in Krisensituationen entsprechend abrufbar sind. Die Inhaftierten können Resilienzen entwickeln und diese im Übergangsmanagement nutzen. Neben diesen Prozessen werden in der Gruppe soziale Interaktionen geübt.

„Wenn Denken nicht mehr weiterhilft, brauchen wir etwas, das uns zu neuen, unerwarteten Lösungen führen kann.“ (Bettina Egger)

Immer geht es hier um Prozesse und Bilder, die uns positiv bewegen können, und nicht um Bilder, die etwas bedeuten.

Beginnen wir den Rundgang durch diese Ausstellung:

1. „Aus dem U-Boot“

"Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem U-Boot und schauen durch das Bullauge hinaus. Was sehen Sie? "

Die hier ausgestellten Bilder werden im Januar 2022 in der Krankenpflegeabteilung gehängt, wo vor einigen Monaten die Wände in Grau gestrichen wurden.

2. Selbst-Portraits

Sie hängen in der Form der "Petersburger Hängung" und die zu sehenden Bilder sind Selbstportraits der Teilnehmerinnen. Sie sehen, dass die Teilnehmerinnen nicht konventionell künstlerisches Talent haben, sie haben aber den Wunsch und die Neugier, etwas Neues zu lernen.

3. Übermalungen

In diesem Teil der Ausstellung befassten sich die Teilnehmerinnen mit dem oftmals voyeuristischen Männerblick auf Frauen in der Malerei. Ihre persönlichen "Neufassungen" bekannter Bilder z.B. Jean-Léon Gérômes "Phryne vor den Richtern" (1861), „Susanna im Bad“ von Lovis Corinth, „Les Demoiselles d’Avignon" von Picasso, „Frühstück im Grünen“ und „Olympia“ von Manet, „Das türkische Bad“ von Ingres oder der „Ursprung der Welt“ von Courbet ermöglichen durch Übermalungen bzw. Einsatz unterschiedlicher Techniken völlig neue Interpretationen.

Die Teilnehmerinnen erarbeiten sich ein neues Selbstbewusstsein. Das künstlerische Gestalten löst die Teilnehmerinnen aus ihrem „Eingeengt-Sein“, ihrer festgeschriebenen Rolle heraus und führt sie mit Hilfe alternativer Lösungsvorschläge zu einer neuen Weltsicht. Die Teilnehmerinnen werden zu Expertinnen.

Die Kunst- und Malwerkstatt bildet in Ergänzung zur Kunsttherapie eine Bereicherung des künstlerischen und kulturellen Angebotes der JVA für Frauen.

Bildrechte: JVAfF
(c) Tanja G.
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